„Nachdenklichkeit ist besser als Rechthaberei“


Bild: Hersbrucker-Zeitung

ALTENSITTENBACH - Es gibt keine einfachen Lösungen. Und wenn überhaupt, dann führt der Weg zum Ziel nur über Kompromisse. Beim Informationsabend der CSU Nürnberger Land zum Thema Energiewende wurde im voll besetzten Scharrer-Saal in Altensittenbach nach allen Seiten vielschichtig diskutiert. Einziger Wermutstropfen: der von langer Hand angekündigte Umweltminister Dr. Markus Söder sagte kurzfristig ab. Stellvertretend für ihn sprach Prof. Dr.-Ing. Albert Göttle, Leiter der Abteilung „Reaktorsicherheit und Ökoenergien“ im bayerischen Umweltministerium.

„Wir bekommen heute Abend einen Präsidenten statt eines Ministers und einen Professor statt eines Doktors — zwar ist er zugegeben kein Franke, aber wir wollen ihm doch eine faire Chance geben“, scherzte Götz Reichel, Vorsitzender der CSU Hersbruck, um die Enttäuschung der rund 150 Besucher im Scharrersaal etwas abzufedern und Söders Stellvertreter vorzustellen.

Göttle sei, so Reichel, ein Spitzenbeamter für die Energiewende, der bereits zum Thema Wasserwirtschaft promoviert habe und vor seiner jetzigen Tätigkeit als Präsident für das Bayerische Landesamt für Wasserwirtschaft und das Bayerische Landesamt für Umwelt eingesetzt war. Söder selbst war wegen einer kurzfristig angeordneten Kabinettssitzung mit Ministerpräsident Horst Seehofer verhindert.

Gastgeber Peter Uschalt, der CSU Ortsvorsitzende in Altensittenbach, begrüßte neben den übrigen Mitstreitern auf dem Podium, darunter die Bundestagsabgeordnete Marlene Mortler sowie Norbert Dünkel vom CSU Kreisverband Nürnberger Land, auch Harald Kiesl, Geschäftsführer der Hewa, Hersbrucks 1. Bürgermeister Robert Ilg, den 3. Bürgermeister Peter Matzner, zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus dem Stadtrat, die beiden Hersbrucker Geistlichen, Pfarrer Metzger von der evangelischen und Pfarrer Forster von der katholischen Kirche, sowie den Vorsitzenden des Wirtschaftsforums, Klaus Wiedemann.

Mit eindringlichen Worten leitete Götz Reichel zum Vortrag von Prof. Göttle über: „Energie dann abrufen, wenn sie benötigt wird, ist etwas, das in Zukunft verstärkt benötigt wird. Wir sind hier schon lange Vorreiter, etwa mit dem Pumpspeicherwerk in Happurg. Außerdem soll mit der Hewa am westlichen Stadtrand von Hersbruck eine Bürger-Solaranlage entstehen, auch Windkraft ist ein Thema. Ohne das Zutun von allen kann die Energiewende nicht klappen, denn Energiewende heißt auch eine Wende im Bewusstsein — Hand in Hand mit dem technischen Fortschritt, versteht sich.“

Göttle selbst resümierte zunächst zum Status Quo in Bayern: „Wir fangen nicht bei Null an und verfügen gegenüber anderen Ländern über einen gewissen Vorsprung“, betonte der Energiefachmann. Dennoch sei der Atom-Ausstieg bis 2022 ein ehrgeiziges Unterfangen, bei dem Geschwindigkeit nicht an erster Stelle vor der Qualität der Veränderungen stehen dürfe. Dies seien Veränderungen, die sich nur im Miteinander bewältigen ließen, dabei sei bürgerschaftliches Engagement ebenso gefragt wie das wirtschaftliche.

Um die Energiewende richtig zu gestalten und zum Erfolg zu führen, sei der sogenannte „Energetische Dreisprung“ das einzig gangbare Konzept. Es fußt auf den drei Säulen „Energie sparen, Effizienz steigern und erneuerbare Energien einsetzen“. „Viele kleine gesparte Kilowattstunden sind ein großes Potenzial, auch im privaten Konsum. Das müssen wir verinnerlichen, wenn wir unseren Standard und unsere Mobilität künftig halten möchten“, führte Göttle weiter aus.

Die Effizienz steigern, sei auch im wirtschaftlichen Bereich ein wesentlicher Faktor. Erfolge seien bereits erzielt, etwa massive Energieeinsparungen bei der Aluminiumschmelze. „Ohne diese ersten beiden Aspekte können wir die Energiewende gar nicht schaffen“, betonte Göttle. Andernfalls werde eine Steigerung der erneuerbaren Energien um das 35-Fache benötigt — faktisch unmöglich.

Aktuell sei lediglich eine Verdoppelung des Strom anteils aus erneuerbaren Energiequellen angepeilt, dabei sei es nötig, sämtliche Potenziale und Varian ten auszuschöpfen. Liegt der Anteil regenerativer Energien in Bayern heute noch bei rund 25 Prozent, soll er also bis 2022 auf 50 Prozent ansteigen. Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft sollen dabei vor allem effizienter werden.

Bei der Windkraft müsse auch die Standortsuche optimiert werden. „Die Kommunen sollen konfliktfreie Flächen definieren, auf denen vorzugsweise Windparks, etwa drei bis fünf Anlagen, eingerichtet werden können“, erläuterte Göttle. Für Bayern seien rund 1500 Windräder vorgesehen. Langfristiges Ziel sei es, einen erneuerbaren Energiemix zu produzieren, der besagt: „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, wir sind autark.“ Um dieses Ziel zu erreichen, müsse natürlich auch über interkommunale Verknüpfungen nachgedacht werden.

Ein Risiko seien die zu erwartenden Defizite: „Isar 2 erreicht im Jahr 1,2 Megawatt. Das heißt, es produziert allein in vier Stunden die Jahresmenge all unserer bestehenden Windkraftanlagen. Das ist nicht für die Kernkraft und gegen Windkraft gesprochen. Es zeigt lediglich die Relationen, auf die wir uns eingelassen haben“, verdeutlichte Göttle.

Ein Problem bestehe zurzeit noch in der Speicherung von Energie. Bayern stellt deshalb 50 Millionen Euro für Forschung in Sachen Energiespeicherung zur Verfügung. Gaskraftwerke sollen als Übergangstechnologie dienen. „Wir brauchen Standorte und Investoren für etwas, wovon wir nicht wissen, wie lange es laufen wird“, erklärte Göttle die Zwickmühle.

Darum sei eine dezentrale Energieversorgung vor Ort ebenfalls von großer Bedeutung. Man wolle die kommunalen Projekte stärken und die Bürger mit einbeziehen. Unmöglich sei es derzeit, gesicherte Aussagen über die Entwicklung der Strompreise zu machen. Spürbare Erhöhungen seien zu erwarten — für Privathaushalte, aber auch in der Industrie.

Göttle betonte außerdem, dass trotz der Zielsetzung für die Energiewende die Klimaschutzbestimmungen aus dem Jahr 2007 für das Land Bayern weiterhin Bestand haben. Ziel sei es weiter, den CO2-Verbrauch pro Kopf im Jahr von sechs auf unter fünf Tonnen zu senken.

Anschließend richtete Bezirksrat Norbert Dünkel einige Worte an das Publikum: „Wir wollen eine Wirtschaftsnation bleiben, haben Ressourcen nicht im Überfluss und wollen die Energieversorgung sichern. Dafür brauchen wir vor allem eines: Kommunikation.“ 80 Prozent der Bürger hätten sich nach Fukushima für die Energiewende ausgesprochen, dieser Weg werde nun beschritten. „Wir wollen die Menschen daran beteiligen“, so Dünkel.

Wie sehr Wunsch und Wirklichkeit bislang noch auseinanderklaffen, zeigte die anschließende Diskussion. In drei Fragerunden kamen Bürger und weitere Politiker zu Wort. Größtes Reizthema war wohl für viele die Wind-Energie. Hier sprachen unter anderen Werner Graf von der Bürgerinitiative Gegenwind Jurahöhe, Johann Waldmann aus Schwabach und Walter Schorsch aus Hof. Kritikpunkte waren die bislang willkürlich erscheinende Positionierung der Windkrafträder, geringe Einbeziehung der Anwohner, Landschaftsschutz und die Frage nach der Effizienz der Energiegewinnung durch Windkraft in Bayern.

Er verstehe es, dass die Menschen kein Windrad 400 Meter vor ihrer Terrasse möchten, erwiderte Göttle und räumte ein, dass hierbei in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden. Allerdings sei der Bau von Windrädern durchaus im Interesse der Naturschutzverbände.

Weitere Anregungen kamen von der Bundestagsabgeordneten Marlene Mortler, die ein entschiedeneres Vorgehen bei Gaskraftwerken ebenso forderte wie eine Beschleunigung des Netzausbaus. Als Bäuerin sprach sie sich deutlich für das Potenzial von Biogasanlagen aus: „Biogas ist im Moment die einzige erneuerbare Energie, die rund um die Uhr liefert“. Abschließend stellte sie die Frage nach der Notwendigkeit des neuen Ökoenergie-Instituts in Augsburg, da bereits zwei ähnliche Einrichtungen vom Freistaat initiiert worden seien.

Schließlich bat Bürgermeister Robert Ilg um Unterstützung von Land und Bund im Bezug auf die Installation von Photovoltaik-Anlagen auf Gebäuden, die unter Denkmal- bzw. Ensembleschutz stehen. „Wir wünschen uns einfache und unbürokratische Hilfestellungen“, so Ilg, der damit Applaus erntete. Die Geschehnisse in Fukushima seien für viele schon wieder weit weg — zu weit: „Ich persönlich möchte nicht warten, bis der Einschlag näher kommt.“

Eine Einschätzung, die auch Norbert Dünkel teilte: „Ich habe den Eindruck, dass viele heute Abend mit einer streng vorgefertigten Meinung kamen. Wir können diese Herausforderung aber nur parteiübergreifend mit der Wirtschaft und den Menschen lösen. Es geht um unsere Zukunft: Wenn wir es nicht schaffen — wer dann?“ Anna Schneider

Copyright: Hersbrucker-Zeitung vom 7.10.2011